„Transición energética“ und die „Kohlekommission“:

Kolumbien steigt aus der Steinkohle aus – IGBCE und Stiftung unterstützen durch Erfahrungsaustausch

Unterschiedlicher könnten die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen kaum sein. Die Kolleginnen und Kollegen der Bergbaugewerkschaft „Sintracarbón“ in Kolumbien haben es mit Arbeitgebern zu tun, für die „Sozialpartnerschaft“ ein Fremdwort ist.

Die Möglichkeiten der Gewerkschaften insgesamt sind im Land allein schon dadurch denkbar schwierig, weil rund 80 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Kolumbien im „informellen Sektor“ arbeiten. Sie müssen ihren Lebensunterhalt in Unternehmen verdienen, die nicht tariflich gebunden sind, weder Steuern noch Sozialabgaben entrichten. Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub oder Krankenversicherung kommen im Leben dieser Menschen nicht vor. Schwarzarbeit umschreibt das nur unzureichend.

Dass die Gewerkschaften in den vergangenen Monaten dennoch so etwas wie eine Aufbruchstimmung spüren und optimistischer in die Zukunft schauen können, hängt mit dem im vergangenen Sommer gewählten Präsidenten und seiner politisch bunt gemischten Regierung zusammen. Alle vorherigen Regierungen wurden von Konservativen bis zum Teil rechtsradikalen Parteien dominiert. Wesentliche Aufgabe dieser Regierungen:  die aus der Zeit des Kolonialismus stammenden gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen verteidigen. Trotz extremen politischen Drucks und teils eskalierender Gewalt wurde mit Gustavo Petro im Juni 2022 erstmals ein Präsident gewählt, der der demokratischen Linken entstammt. Sein Parteienbündnis hat allerdings keine eigene parlamentarische Mehrheit. In Folge müssen nun alle Initiativen, die das Land sozialer und gerechter machen sollen, jeweils aufs Neue mit dem konservativen Teil des Parlaments ausgehandelt werden. Eine Mammutaufgabe. Umso wichtiger ist, dass die Regierung ein Reformprogramm aufgelegt hat, zu dem auch eine Reform des Arbeitsrechts gehört, mit dem gewerkschaftliche Arbeit auf eine neue, bessere rechtliche Grundlage gestellt werden soll.

Die Gewerkschaften unterstützen diese Regierung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese es eigentlich Niemandem recht machen kann. Da sie nur über eine begrenzte Macht verfügt, gerät sie unter Druck von Seiten der Bevölkerungsmehrheit, die sich schnelle Verbesserungen für ihr Leben erhofft hat. Diesen Menschen gehen die Veränderungen nicht schnell genug. Andererseits stehen Petro und seine Minister*innen unter dem politischen Feuer der alten und immer noch mächtigen Eliten, die starr an ihren Privilegien und ihrem Reichtum festhalten. Eine fragile Situation.

Konkret konzentrieren sich die Anstrengungen von Sintracarbón derzeit unter anderem darauf, die Kolleg*innen aus dem Steinkohlebergwerk El Cerrejón zu organisieren und deren Zukunft zu sichern. Das gestaltet sich vor allem deshalb schwierig, weil derzeit der Eindruck entsteht, dass der Betreiber vor der Schließung noch mehr Profit aus der Mine zu pressen versucht, beispielsweise indem er Tarifverträge über den Haufen werfen will und Schichtmodelle nach seinen Vorstellungen umstellt. Die Mine ist der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas und der zehntgrößte der Welt, erstreckt sich über 69.000 Hektar und produziert 32.683.315 Tonnen Steinkohle im Jahr. Etwa zehntausend Kolleg*innen sind hier beschäftigt, für die tragfähige Zukunftsperspektiven gefunden werden müssen. Für Sintracarbón also ein hartes Stück Arbeit.

Die IGBCE unterhält seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit „Sintracarbón“. Mit dem Beschluss der immer noch relativ neuen, demokratischen Regierung innerhalb der kommenden 15 Jahreaus der Kohle auszusteigen und ihr Energiesystem von fossilen auf erneuerbare Grundlagen umzustellen, stellen sich für Sintracarbón zusätzliche Aufgaben. Deshalb haben IGBCE und Sintracarbon beschlossen, ihre Partnerschaft zu intensivieren. Die Erfahrungen, die die IGBCE mit den anderen DGB-Gewerkschaften im Prozess des Kohleausstiegs in Deutschland gemacht haben und immer noch machen werden an die kolumbianischen Kolleg*innen weitergegeben. Den Beginn machte der Geschäftsführer der IGBCE-Stiftung Arbeit und Umwelt Andrea Arcais. Er reiste im April 2023 nach Bogotá.

„Was mir bei den vielen Begegnungen mit den Kolleginnen und Kollegen von Sintracarbón, dem Gewerkschaftsdachverband CUT, aber auch mit Parlamentariern und den Ministerien in Bogotá am meisten imponiert hat, das ist die menschenfreundliche Entschlossenheit und zugleich der Pragmatismus, den ich erfahren durfte. Bedenkt man die Bedingungen, unter denen die gewerkschaftliche und politische Arbeit geleistet wird, ist das mehr als erstaunlich“, berichtet Arcais von seiner Reise.

Besonderes Interesse bestand auf kolumbianischer Seite an der Entstehung der umgangssprachlich „Kohlekommission“ genannten „Kommission für Wachstum, Strukturentwicklung und Beschäftigung“. Die Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften interessierten sich vor allem dafür, wie es gelingen konnte, eine gesellschaftlich so breit gefächerte Kommission zusammenzustellen und trotzdem zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. Arbeits-, Bergbau-, und Energieministerium in Bogotá wollten vor allem wissen, wie die Zusammenarbeit einer solchen Kommission mit der Regierung funktioniert hat. Diese Ministerien haben die Aufgabe eine „Roadmap“ für den Transformationsprozess in Kolumbien zu entwickeln.

„Die Voraussetzungen unter denen eine Transformation in die Treibhausgasneutralität organisiert werden muss sind in Kolumbien ganz andere als bei uns“, so Arcais, „aber die Methoden, die Traditionen von Sozialpartnerschaft, der Versuch durch das Finden von Kompromissen gemeinsames Handeln zu ermöglichen, das ist auch für die Kolleginnen und Kollegen in Kolumbien von großem Interesse“.

Nach dieser Reise war schnell klar, dass an dieser Partnerschaft weitergearbeitet wird. Die Zusammenarbeit zwischen IGBCE und Sintracarbón soll intensiviert werden. Die Stiftung Arbeit und Umwelt wird dies inhaltlich unterstützen.