Die Zukunft nachhaltiger Lieferketten: Fachgespräch in Brüssel

Am 19. November 2025 hat die Stiftung Arbeit und Umwelt gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung ein Fachgespräch unter Chatham House Rules mit dem Titel „Die Zukunft nachhaltiger Lieferketten: Wettbewerbsfähigkeit ohne Abbau von Arbeitsstandards“ in Brüssel ausgerichtet. Dort entscheidet sich dieser Tage im sogenannten Omnibusverfahren, wie weit die Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsanforderungen für multinationale Konzerne in der EU abgebaut werden. Eingeladen war ein Kreis internationaler Gewerkschafter:innen, Aktivist:innen und Expert:innen, der die Reformvorhaben der EU aus verschiedenen Perspektiven kritisch bewertete. Gleichzeitig richtete sich der Blick nach vorn, um zu erörtern, wie weiterhin Verbesserungen für Beschäftigte in globalen Lieferketten erzielt werden können.

 

Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung als Wettbewerbsvorteil begreifen

 

Die insgesamt rund 40 Teilnehmer:innen diskutierten im ersten Teil, den Stand des Omnibusverfahrens und welchen Beitrag die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU leisten können. Eine zentrale Herausforderung stellt die vorherrschende Erzählung dar, dass verbindliche Vorgaben für Unternehmen zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit wettbewerbsschädigend seien. Das hat nicht nur zur Abschwächung bereits erkämpfter Standards in der EU-Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten (CSDDD) geführt, sondern gefährdet auch die wirksame nationale Umsetzung der Richtlinie.

Da beim Thema Unternehmensverantwortung oft nur einseitig über die Umsetzungskosten gesprochen wird, ist es aus Sicht der Diskutant:innen notwendig, die wirtschaftlichen Vorteile stärker hervorzuheben. Hierzu zählen etwa vermiedene Kosten durch besseres Risikomanagement, Reputationsgewinne und dadurch steigende Attraktivität für Investor:innen. Auch wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die CSDDD für einen fairen Wettbewerb der Unternehmen sorgt, die auf gute Arbeitsbedingungen und nachhaltige Geschäftsmodelle setzen, und motiviert andere nachzuziehen. Denn letztlich können europäische Unternehmen die Konkurrenz im globalen Wettbewerb niemals durch Kostenunterbietung einholen, sondern verschaffen sich eher Wettbewerbsvorteile durch Qualität und hohe Standards.

Die internationalen gewerkschaftlichen Perspektiven zeigten noch eine weitere Problematik bei der Arbeit zu Unternehmensverantwortung auf. Denn Begriffe wie „Sorgfaltspflichten“ machen es für Beschäftigte oft schwer nachvollziehbar, worum es für sie dabei eigentlich geht: Arbeitsausbeutung zu verhindern und Rechenschaft einzufordern. Gleichzeitig blenden die aktuellen politischen Debatten um Wettbewerbsfähigkeit aus, welche gesellschaftlichen Gruppen von der Deregulierung profitieren und welche das Nachsehen haben, wie zum Beispiel auch europäische Beschäftigte.

Besorgniserregend ist für Gewerkschaften außerdem, dass die Reformvorhaben im Europäischen Parlament aus einer Mehrheit von konservativen bis rechtsextremen Parteien getragen werden. Das zeigt auf, wie weit einige Akteure bereit sind zu gehen, um Krisen zum Abbau von grundlegenden Arbeitsstandards und Wohlfahrtsstaatlichkeit zu nutzen. Der internationale Erfahrungsaustausch machte dabei deutlich, dass sich Europa mit dieser Entwicklung immer weiter in eine weltweite Krise der Vereinigungsfreiheit einreiht.

Bei allen Sorgen um eine weitere Deregulierung, so gab es dennoch einen Konsens darüber, dass mit der CSDDD erstmals europaweit einheitliche gesetzliche Vorgaben zur Unternehmensverantwortung bevorstehen. Transnationale gewerkschaftliche und zivilgesellschaftliche Netzwerke sind nun aufgefordert, deren konsequente Umsetzung einzufordern und dafür einzutreten, den Kreis der verpflichteten Unternehmen zu erweitern. Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen und Strategien.

 

Wie sichern wir in Zukunft Arbeitsstandards entlang globaler Lieferketten?

 

Der zweite Teil der Veranstaltung beleuchtete, wie zukünftig Arbeitsstandards und Menschenrechte entlang von Lieferketten mit abgeschwächten verbindlichen Normen und freiwilligen Initiativen gesichert werden können. An viele Fortschritte kann nämlich weiterhin angeknüpft werden. Gewerkschafter:innen aus Asien und Afrika berichteten, dass Tochterunternehmen und Zulieferer deutscher und französischer Konzerne wegen Gesetzen zur Unternehmensverantwortung erstmals konstruktive Gespräche mit örtlichen Gewerkschaften und Beschäftigten führen. So können selbst dort Lösungen geschaffen werden, wo nationale Arbeitsstandards und deren Durchsetzung oft unzureichend sind.

Um solchen sozialen Dialog entlang von Lieferketten zu schaffen, bedarf es oftmals des Drucks europäischer Gewerkschaften in den Konzernzentralen. Diese wiederum benötigen greifbare Fallbeispiele, um ihre Vertreter:innen in Betrieben dafür zu mobilisieren, sich für Kolleg:innen im Ausland einzusetzen. Die Diskussionen zeigten, dass das notwendiger denn je ist. Denn aufgrund der politischen Entwicklungen geht auch bereits die Kooperationsbereitschaft vieler Unternehmen wieder zurück.

Ein fallbasiertes Vorgehen, das auch grundsätzlich in unternehmerischen Sorgfaltsprozessen angelegt ist, ist allerdings nicht immer möglich. Gewerkschaften in der tieferen Lieferkette können zwar oft problemlos Wissen zu strukturellen Problemen vor Ort teilen. Unter bestimmten Bedingungen lassen sich konkrete Fälle jedoch nicht benennen, weil dadurch einzelne Beschäftigte gefährdet werden. Neben dem Einsatz auf Unternehmensebene zu konkreten Fällen gibt es für nationale und internationale Gewerkschaften aber noch weitere Handlungsmöglichkeiten. Hierzu zählen etwa Vereinbarungen zum Menschenrechtsschutz in globalen Rahmenabkommen sowie die Beteiligung an Multi-Akteurs-Initiativen bestimmter Branchen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es zentral für sämtliche Handlungsansätze ist, transnationale Solidaritätsnetzwerke weiter auf- und auszubauen. Bei dieser Vernetzung können zivilgesellschaftliche Akteure neben Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag leisten, um dort, wo es Einflussmöglichkeiten gibt, durch strategisches Vorgehen eine größere Hebelwirkung zu erzielen. So kann auch irreführenden politischen Diskursen wirksamer begegnet werden, die versuchen, Menschenrechte gegen Wirtschaftlichkeit auszuspielen.