Willkommen in der Weiterbildungsrepublik

Deutschland soll zur „Weiterbildungsrepublik“ werden. Darauf haben sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Doch wie könnte eine „Weiterbildungsrepublik“ aussehen, in der alle Beschäftigten einen Nutzen für sich entdecken? Darüber diskutierten Expertinnen und Experten bei einem Fachtag der Stiftung Arbeit und Umwelt, des politischen Thinktanks der IGBCE.

Ende 2022 hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) den Entwurf für ein Weiterbildungsgesetz vorgestellt. Voraussichtlich im Februar 2023 soll er im Kabinett diskutiert werden. Beim Fachtag „Erfahrungen mit Weiterbildung in Krisen und Kurzarbeit – Impulse für die Ausgestaltung zum Transformationsinstrument“ stellte Dr. Gunilla Fincke, Abteilungsleiterin für Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung, Fachkräftesicherung im BMAS, die Pläne vor. Im Mittelpunkt stehen zwei Instrumente: Das „Qualifizierungsgeld“ soll in Branchen mit hohem Transformationsdruck zum Einsatz kommen. Unternehmen werden dabei unterstützt, ihre Fachkräfte durch Weiterbildung fit für die neuen Anforderungen zu machen. Die „Bildungs(teil)zeit“ können Arbeitnehmer auf eigene Initiative hin in Anspruch nehmen. „Unser Ziel ist ein Kulturwandel“, sagte Fincke: „So wie beim Elterngeld sollte es die Ausnahme werden, es nicht zu nutzen.“

Dass auf dem Weg in die Bildungsrepublik noch einige Probleme zu lösen sind, wurde auf dem Fachtag ebenfalls deutlich: Prof. Dr. Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) zeigte, dass Weiterbildungsangebote bisher am wenigsten von denen genutzt werden, deren Jobs am meisten von Krisen und Transformationsprozessen bedroht sind: Ältere und vergleichsweise gering Qualifizierte sowie Beschäftigte in Teilzeit und Leiharbeit. „Bis weit in die Facharbeiterschaft hinein haben viele negative Erfahrungen in der Schule gemacht. Sie haben Angst vor Prüfungen und Bewertungen“, erklärte Jörg Kunkel, Abteilungsleiter für Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik bei der IGBCE. Hier sind die Unternehmen und Betriebsräte gefragt, den Kolleginnen und Kollegen Mut zu machen, meinen die Expert*innen.

Zudem tun sich viele Chefs kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) schwer damit, vorherzusagen: Wohin wird sich unser Geschäftsmodell in fünf oder zehn Jahren entwickeln? Und für welche Anforderungen sollen sie ihre Leute eigentlich fit machen? Dafür, erklärt Jörg Kunkel, gibt es in der Chemiebranche das Tool „Pythia“: Die Software hilft, den Weiterbildungsbedarf im Unternehmen zu ermitteln. Der Entwurf des Bundesarbeitsministeriums sieht „Weiterbildungsagenturen“ vor, die Arbeitgeber und Beschäftigte zum richtigen Bildungsangebot lotsen. Einig waren sich die meisten Expert*innen darin, dass die Abschlüsse stärker standardisiert werden müssen, um verschiedene Angebote vergleichbar zu machen. Das allerdings macht es nicht einfacher für Arbeitnehmer*innen, die einen hohen Aufwand und Prüfungen scheuen.

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